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Nach mehreren gescheiterten Evakuierungsversuchen hat Russland für Dienstag erneut eine Feuerpause sowie die Einrichtung von Fluchtwegen für Zivilisten aus umkämpften Städten in der Ukraine angekündigt. Aus der Stadt Sumy im Nordosten des Landes, wo am Vorabend mindestens 21 Menschen nach ukrainischen Angaben bei einem russischen Luftangriff auf ein Wohngebiet getötet worden waren, begannen am Morgen tatsächlich erste Evakuierungen. Kiew blieb jedoch skeptisch. Präsident Wolodymyr Selenskyj machte Moskau für zuvor gescheiterte Evakuierungen verantwortlich.
Gegen 10.00 Uhr Ortszeit (09.00 Uhr MEZ) hatten bereits Dutzende Busse mit Zivilisten die seit Tagen heftig umkämpfte Stadt Sumy verlassen. Nach Angaben der Regionalverwaltung sollten sie in die 150 Kilometer weiter südwestlich gelegene Stadt Lochwyzja gebracht werden.
Die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk warnte jedoch, Russland könnte den Fluchtweg nicht offen halten. "Wir haben Informationen, dass die russische Seite plant, diesen Korridor zu behindern", sagte sie am Dienstag. Die Zivilisten könnten dadurch gezwungen sein, "eine andere Route zu nehmen, die nicht (mit den Ukrainern) abgesprochen und gefährlich ist".
Selenskyj hatte Russland bereits am Montagabend vorgeworfen, alle vorherigen Evakuierungsversuche verhindert zu haben. "Es gab eine Vereinbarung über humanitäre Korridore", sagte Selenskyj in einem auf Telegram veröffentlichten Video. "Hat es funktioniert? Die russischen Panzer haben stattdessen funktioniert, die russischen 'Grad' (Raketenwerfer), die russischen Minen."
Die Ukraine werde aber weiter mit Russland verhandeln. "Ich bleibe hier, ich bleibe in Kiew (...). Ich habe keine Angst", bekräftigte der ukrainische Staatschef. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte hingegen wiederholt "ukrainische Nationalisten" beschuldigt, die Evakuierungen umkämpfter Städte zu vereiteln.
Moskau hatte die Öffnung mehrerer "humanitärer Korridore" auch aus der Hauptstadt Kiew sowie aus Charkiw, Mariupol und Tschernihiw angekündigt, die Fluchtwege sollten jedoch zumeist nach Russland oder Belarus führen, von wo aus die russische Armee am 24. Februar in der Ukraine einmarschiert war. Die Ukraine lehnte diese Fluchtkorridore ab, Verhandlungen beider Seiten führten zu keinem Durchbruch.
Der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Reuter, kritisierte grundsätzlich das Konzept der Fluchtkorridore. Eine Konsequenz derartiger Korridore sei, dass "dann Konflikt- und Kriegsparteien sagen, dass alle anderen zum Angriffsziel werden", weil sie nicht geflohen seien, warnte Reuter am Montagabend im ZDF. Für die Regierungen seien derartige Korridore ein "militärisches Instrument", um anschließend "ungenierter, ungehemmter" angreifen zu können.
Die Kämpfe in der Ukraine dauerten unterdessen an. Der ukrainische Generalstab berichtete von heftigen Gefechten in der ostukranischen Stadt Isjum. Demnach erlitten die russischen Streitkräfte Verluste, als sie versuchten, die Stadt einzunehmen. Das ukrainische Verteidigungsministerium meldete zudem den Tod des russischen Generals Witali Gerassimow in der Nähe von Charkiw. Moskau bestätigte dies zunächst nicht, von unabhängiger Seite lassen sich solche Berichte meist kaum überprüfen.
Dem ukrainischen Generalstab zufolge zieht Russland zudem weiterhin Soldaten und militärische Ausrüstung an den Fronten in Kiew, Mariupol im Süden und Charkiw im Nordosten zusammen. Die Städte stehen bereits seit Tagen unter heftigem Beschuss. Die ukrainische Regierung rechnet mit einem baldigen russischen Großangriff auf die Hauptstadt.
Russland ist nach US-Angaben inzwischen mit nahezu allen für den Einmarsch in die Ukraine vorgesehenen Truppen in das Land eingerückt. Nach westlichen Angaben hatte Russland vor Beginn seines Angriffs auf die Ukraine mehr als 150.000 Soldaten an den Grenzen aufmarschieren lassen.
In Butscha vor den Toren Kiews versuchten die Menschen verzweifelt, die Stadt zu verlassen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Eine Einwohnerin namens Anna sagte, die Stadt stehe kurz vor einer "humanitären Katastrophe": "Es gibt kein Gas mehr, kein Wasser, keinen Strom und auch die Lebensmittel gehen aus."
Die UNO forderte Sicherheitskorridore, um Hilfslieferungen zu den Menschen in den belagerten Städten zu bringen. Nach UN-Angaben stieg die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine in die Nachbarländer inzwischen auf über zwei Millionen.
A.Ferraro--NZN