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Der Regisseur und Schwulenaktivist Rosa von Praunheim ist tot. Der Filmemacher starb im Alter von 83 Jahren in Berlin, wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg am Mittwoch unter Berufung auf dessen engsten Freundeskreis berichtete. Von Praunheim, der mit bürgerlichem Namen Holger Radtke hieß, drehte mehr als 150 Filme und war Wegbereiter der Schwulenbewegung in Deutschland.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte von Praunheim "unvergleichlich" und erklärte, Deutschland verliere "einen seiner bekanntesten, wirkungsvollsten und engagiertesten Künstler". Mit Fleiß, Können, Beharrlichkeit, Lust an der Provokation und Humor habe er "gesellschaftliche Wirklichkeit verändert". Ohne sein Werk wäre "die Geschichte homosexueller Emanzipation in Deutschland anders verlaufen".
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) würdigte von Praunheim als "Pionier der queeren Filmgeschichte". "Sein umfangreiches filmisches Werk wirkt über seinen Tod hinaus und erinnert daran, wie wichtig eine offene und vielfältige Gesellschaft ist", erklärte er. Berlin verliere "eine prägende Stimme der Schwulen- und Kunstszene", doch "sein Werk bleibt – und mit ihm sein Einsatz für Offenheit und Vielfalt".
Anfang der 70er Jahre hatte von Praunheim mit der Filmdokumentation "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" erstmals für größeres Aufsehen gesorgt. Sie löste eine breite öffentliche Diskussion über das damals weitgehend verdrängte Thema Homosexualität aus. Auch sein Streifen "Die Bettwurst" von 1971 gilt als Kultfilm.
Es folgten zahlreiche weitere Spielfilme und Dokumentationen, zudem war von Praunheim als Buchautor tätig. Er setzte sich unter anderem mit der seit den 1980er Jahre weltweit grassierenden Aids-Epidemie auseinander und engagierte sich gegen die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit.
Zudem drehte er Filme über Menschen wie den Schlagersänger Rex Gildo, schwule Nazis, einen früheren Zuhälter, den Transvestiten Charlotte von Mahlsdorf oder den Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder. Wenige Tage vor seinem Tod heiratete von Praunheim in Berlin seinen langjährigen Lebensgefährten Oliver Sechting, wie beide über das soziale Netzwerk Instagram bekanntgaben.
Geboren wurde von Praunheim 1942 im damals von NS-Deutschland besetzten Riga, er wuchs in Berlin und in Frankfurt am Main auf. Der Frankfurter Stadtteil Praunheim inspirierte ihn auch zu seinem Künstlernamen, den er seit den 60er Jahren nutzte. Dort lebte er mit seiner Familie.
Hessens Kulturminister Timon Gremmels (SPD) würdigte von Praunheim als "unbeirrbare Stimme" und "einen Pionier des queeren Films". Er habe "provoziert, aufgeklärt und Mut gemacht, dort Haltung zu zeigen, wo Schweigen bequemer gewesen wäre", erklärte Gremmels in Wiesbaden zum Tod des Filmemachers. "Sein Werk war radikal, politisch und zutiefst menschlich, aber auch streitbar."
R.Schmid--NZN