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Kiew hat die Einwohner der Ostukraine wegen einer befürchteten russischen Großoffensive zum sofortigen Verlassen der Region aufgerufen. Dies müsse "jetzt" geschehen, andernfalls riskierten die Menschen dort zu sterben, erklärte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram am Mittwoch. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sah angesichts des jüngsten Vorgehens Russlands "dringenden Bedarf" an weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Mittwoch bereits weitere Lieferungen an.
Russland hatte sich zuletzt aus dem Raum Kiew und der Nordukraine zurückgezogen und angekündigt, sich auf den Osten und Süden des Landes konzentrieren zu wollen. Ziel der russischen Armee ist es, eine Landbrücke zwischen der besetzten Krim-Halbinsel und den pro-russischen Separatistengebieten im Donbass zu schaffen.
Die ukrainische Regierung geht deshalb von einem anstehenden Großangriff Russlands im Süden und Osten des Landes aus und bereitet sich an der Frontlinie darauf vor. Die Stadt Sewerodonezk nahe der Front - die am weitesten im Osten gelegene Stadt, die noch von der ukrainischen Armee gehalten wird - geriet am Mittwoch unter anhaltenden Beschuss.
Zehn Gebäude, ein Einkaufszentrum sowie Garagen seien beschädigt und ein Großbrand sei ausgelöst worden, teilte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, auf Telegram mit. Die Zahl der Opfer werde "derzeit noch ermittelt".
In der 15.000-Einwohner-Stadt Wugledar südwestlich von Donezk wurden nach Angaben der Regionalbehörden vier Zivilisten bei der Bombardierung eines Zentrums zur Verteilung von Hilfsgütern getötet und vier weitere verletzt.
Rund 500 Ukrainern aus dem Südosten gelang am Mittwoch mit einem Konvoi unter dem Schutz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) die Flucht nach Saporischschja. Das IKRK erklärte auf Twitter, die Helfer hätten zuvor fünf Tage lang versucht, die seit Wochen von russischen Truppen belagerte Hafenstadt Mariupol zu erreichen. Dies sei jedoch aufgrund der "Sicherheitslage nicht möglich" gewesen.
Unterdessen berieten die Nato-Mitgliedstaaten über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Nato-Generalsekretär Stoltenberg sah "dringenden Bedarf" an weiteren Lieferungen. Er erwarte mehr Zusagen der Mitgliedsländer für Kiew, sagte Stoltenberg vor einem Außenministertreffen der Allianz in Brüssel.
Die USA haben bereits zusätzliche Militärhilfen für die Ukraine von bis zu 100 Millionen Dollar angekündigt. Auch Portugal kündigte die Lieferung weiterer Militärausrüstung an. Die Ukraine bat Tschechien und die Slowakei zudem um Unterstützung bei der Reparatur von Militärtechnik.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte sich am Mittwoch zu weiteren Waffenlieferungen bereit. "All das, was sinnvoll ist und schnell wirkt, das wird geliefert", sagte er im Bundestag. Der Kanzler ließ jedoch offen, ob die Bundesregierung den Wunsch der Ukraine nach Lieferung auch von schweren Waffen wie Panzern erfüllen werde. Deutschland wolle hier nicht "vorpreschen", sondern in Abstimmung mit den Partnern in Nato und EU handeln, sagte Scholz.
Er verurteilte erneut das Vorgehen des russischen Militärs in der ukrainischen Stadt Butscha. Russische Soldaten hätten dort "ein Massaker an ukrainischen Zivilisten verübt", sagte Scholz. Dies sei ein "Kriegsverbrechen". Auch US-Präsident Joe Biden sprach am Mittwoch erneut von einem "Kriegsverbrechen".
In Butscha bei Kiew waren nach ukrainischen Angaben am vergangenen Wochenende nach dem Rückzug der russischen Armee zahlreiche Leichen von Zivilisten gefunden worden. Moskau bestreitet jegliche Verantwortung für die Tötungen und spricht von gefälschten Fotos und Videos.
Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete die Berichte aus Butscha am Mittwoch in einem Telefonat mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban als "grobe und zynische Provokation" der ukrainischen Regierung.
Orban, der als engster Partner Putins unter den EU-Staats- und Regierungschefs gilt, forderte den russischen Präsidenten zu einer sofortigen Waffenruhe auf und schlug Gespräche im Normandie-Format in Budapest vor. Putins Antwort auf das vorgeschlagene Treffen sei "positiv, aber unter Bedingungen" gewesen, sagte Orban im Anschluss.
B.Brunner--NZN